Innerdalen Sunndal

Dieses Mal wollten wir nicht in die Hardanger Vidda.

Guido schlug vor, mal eine Wanderung im Dovrefjell oder in Jotunheimen zu machen, aber ich überredete ihn zu einer Tour im Innerdalen. Ich hatte keine Lust auf die karge Landschaft und der Sinn stand mir nach Wald.

Dies sollte das schönste Bergtal Norwegens sein und den Fotos im Internet nach zu urteilen, war es grün und lieblich. Es liegt in der Gemeinde Sunndal in der Provinz Møre og Romsdal. Naja, ich hätte es besser wissen müssen. „Lieblich“ ist Norwegen nur gaanz selten. Eher rau, karg und schroff. Beim Kartenstudium war dann schon zu sehen, dass wir auch wieder über der Baumgrenze unterwegs sein werden. Außerdem fanden wir nur eine Tour über 4 Tage. Aber das war uns recht. Was mich störte, waren die Auf- und Abstiege. Aber jetzt gab es kein zurück. An der Hardanger Vidda liebe ich es ja, dass es ein großes Felsplateau ist, wo es nur mäßig auf und ab geht. Das würde dieses Mal anders sein. Aber ich wollte das „schönste Tal Norwegens“ auf jeden Fall einmal sehen.

Das Wetter war sehr wechselhaft, wie hier in Norwegen ja üblich. Darum verschoben wir die Tour noch einmal um einen Tag, da wir noch auf besseres Wetter hofften. Aber dann ging es los.

Wir starteten in der Nähe der Todalshytte an einem Waldstück und nun ging es stetig bergauf. Der Weg war durch die hohen Bäume entlang eines Bachlaufes sehr schön und bald kamen wir an eine Lichtung, die mit gutem Zugang zum Wasser nahezu zum Rasten einlud. Guido wollte noch nicht so recht, aber die Sonne kam gerade raus und so wurde er überstimmt. Die Stelle war einfach zu schön um vorbei zu gehen. Nach kurzer Rast ging es dann weiter hinauf und langsam wurden die Bäume kleiner und wir erreichten die Baumgrenze. Hier oben begann es dann doch leicht zu nieseln und der Wind pfiff uns um die Ohren. Wir kamen dann an eine Wegkreuzung. Beide Wege hätten wir nehmen können. Der eine führte über den Kamm wieder leicht hinab. Hier sah es aber sumpfiger aus. Der andere führte weiter bergauf um dann hinter dem Berg zu verschwinden. Nun ja, was soll ich sagen. Ich bin faul und mag nicht bergauf gehen, wenn es eine Alternative gab. Bloß gut, dass ich die Entscheidung fällte, denn ich habe sie im weiteren Verlauf nicht nur einmal bereut. Und so blieb Guido mein Gequengel weitgehend erspart. Da ich ja selbst schuld war, konnte ich die Entscheidung ja Guido nicht vorwerfen.

Unser Weg war definitiv der Mühsamere. Es ging durch tiefstes Moos, welches die letzten 10 cm im Wasser lag. Wir kamen uns vor wie Störche und es quitschte und quatschte. Von oben dazu Niesel und keine Sicht auf Berge. So ging es etliche Kilometer mühsam voran. Die Schuhe waren nach kurzer Zeit durch und die Socken nass. Sogar Guido, der die besten Schuhe von uns trug, konnte nicht mehr behaupten, dass seine Füße trocken sind. Hier kommt man definitiv nur mit Gummistiefeln durch. Aber die hatten wir nicht. So liefen wir durch das Tal, linker Hand die Bergwand und rechts Moor und See.

Irgendwann ging es dann doch wieder hinauf und wir mussten doch noch die Höhenmeter machen, welche ich eigentlich vermeiden wollte. Dafür wurde es jetzt aber wieder trockener und der feste Boden tat gut. Wir waren durch die paar Kilometer durch das hohe Moos ganz schön geschlaucht. Oben auf dem Bergkamm waren die umliegenden Berge mit Wolken verhangen und man konnte nur erahnen, dass es unter besseren Bedingungen ein schöner Ausblick sein musste. Unten im Tal konnte man nun auch das Innerdalen liegen sehen. Da wir völlig fertig waren, beschlossen wir eine Rast zu machen. Das Wetter war mehr als ungemütlich und so bauten wir das Zelt auf, krochen hinein und gönnten uns kurz trockene Socken. Es lag jetzt noch ein steiler Abstieg vor uns aber ein Ende war abzusehen. Beim Zusammenpacken des Zeltes kühlte die Luft mit einem Mal rapide ab, so dass ich völlig gefühllose Finger bekam und überlegte, meine Handschuhe auszupacken. Aber beim Laufen wurden wir schnell wieder warm, die Sonne kam jetzt auch wieder heraus. Der Abstieg war ebenfalls sehr schwierig zu laufen. Wir kletterten durch dichtes dschungelartiges Unterholz einen steinigen und sehr steilen Hang hinunter. Wenn das Geäst zum Festhalten nicht wäre, hätten wir bestimmt manches Mal auf dem Hosenboden gesessen. Leider waren die Äste und Zweige, durch die wir uns kämpften, auch ordentlich nass, so dass wir nun trotz Sonnenschein weiter ordentlich nass wurden. Im Tal angekommen, fing es allerdings an, Bindfäden zu regnen. Wir waren jetzt trotz Cape und Regenhosen wirklich an jedem Zipfel nass.

Wir standen nun vor einem Weidenzaun. Ob Strom drauf war, wollte keiner von uns testen, zumal nicht bei der Nässe. Aber der Zaun sah neu aus und wir gingen mal davon aus, das er auch Strom führte, also schmissen wir unsere Rucksäcke rüber und versuchten mehr oder weniger elegant einen Limbo unten hindurch. Da die Situation so komisch war, gab es erst mal einen Lachflash, auch um die Nässe und das ungemütliche Wetter wegzulachen.

Wir sahen schon die ca. hundertjährige Innerdalenhütte und beschlossen heute dort einzukehren und uns ein heißes Getränk zu gönnen. Wir mochten gar nicht daran denken, unser Zelt bei dem Regen aufzuschlagen und fragten uns, wie wir je wieder trocken werden sollten.

So saßen wir nun in der Hütte. Wir waren nicht alleine, auch andere Gäste saßen im Raum und spielten hier und da ein Gesellschaftsspiel. Ich kam dann auf die Idee zu fragen, ob wir vielleicht hier eine heiße Dusche bekommen könnten. Das wäre der Traum. Ich bekam gesagt, dass dies möglich ist und ging zu Guido, um mit ihm unser weiteres Vorgehen zu besprechen. Wir beschlossen, jeder erst einmal heiß zu duschen und Guido ging zur Rezeption um zu bezahlen. Als er zurückkam, setzte er sich zu uns und eröffnete uns, auch ein Zimmer gebucht zu haben. Dem Himmel sei Dank. Selbst ich hatte null Bock auf ein nasses Zelt, erst recht nicht, nachdem wir nun schon einmal gemütlich in der Hütte saßen.

Wir mussten ins Nebengebäude und suchten uns dort unser Zimmer. Es stellte sich als sehr klein heraus, aber egal, wenn zwei im Bett sind, konnte einer stehen. Unsere nassen Sachen versuchten wir irgendwie auf dem Flur aufzuhängen. Dann fanden wir noch eine unaufgeräumte Küche. Wir waren etwas unsicher, ob diese zur Gemeinschaftsnutzung gedacht war, aber wir fanden keine andere Möglichkeit und so setzten wir uns dort einfach hinein und kochten uns was zum Abendbrot. Anscheinend waren wir die einzigen Gäste. Erst abends, als wir schon in unseren Betten lagen, kamen lärmend noch andere Gäste. Sie öffneten auch unser Zimmer, so dass Guido ihnen nur ein unwilliges „Ey“ entgegen rief. Okay, das war jetzt nicht freundlich, aber dafür bemühten sich die anderen nun um Ruhe.

Am nächsten Morgen schien die Sonne und ließ draußen die Regentropfen glitzern, wir packten zusammen, bereiteten uns noch ein Frühstück in der Küche und stiegen wieder in unsere leider immer noch nassen Schuhe. Das Tal zeigte sich nun aber von seiner besten Seite. Hinter dem Haus lag ein schöner See und links daneben erhob sich der berühmte kegelförmige Berg Innerdalstårnet mit 1452 m. Er wird aufgrund seiner Form auch das Matterhorn Norwegens genannt. Andere Gäste aus der Hütte starteten auch schon in Kletterausrüstung um diesen zu besteigen. Aber uns zog es in die andere Richtung.

Wir mussten uns nun entscheiden, welchen Weg wir nehmen wollten. Entweder die lange Strecke von vier Tagen oder eine kurze Variante, wo wir schon übermorgen wieder zurück wären. Aber nach der gestrigen Erfahrung hatte keiner von uns wirklich Lust, das Ganze unnötig auszudehnen und wir entschieden uns für die kurze Strecke.

Das bedeutete aber auch wieder die gestrigen Höhenmeter, welche wir hinab gestiegen waren wieder hinauf zu müssen.

Der Weg führte entlang eines Flusses, der in vielen Wasserfällen den Berg hinabstürzte. Wir hatten Sonnenschein und gute Laune und so ließ sich der Anstieg besser „wegatmen“. Irgendwann trennte der Fluss sich von unserem Weg, wir erreichten die Baumgrenze, aber nicht ohne zuvor noch einmal an dem Fluss ein kleines Picknick gemacht zu haben. Der Weg bog jetzt nach rechts ab und wurde noch ein wenig steiler und führte entlang eines alten Bergrutsches.

Der Anstieg forderte Kondition und Geduld, beides nicht meine Stärken. Aber irgendwann erreichten wir ein Plateau mit grandioser Weitsicht und einem süßen Bachlauf, der durchs Moos plätscherte und rasteten noch einmal. Guido ließ seine Drohne hier etwas kreisen und wir tankten Kraft für den restlichen Aufstieg. Gefühlt hätten wir auch auf den Innerdalstårnet klettern können. Wir glaubten uns schon auf der gleichen Höhe. Natürlich waren wir das nicht, aber viel fehlte echt nicht. Die letzten Meter ging es dann über Felsen hinauf. Immer wenn wir dachten, wir sind oben, kam noch ein Stück. Aber irgendwann war es geschafft. Nun ging es an der anderen Seite wieder hinunter. Hier war eine echte Mondlandschaft. Was auf der anderen Seite grüne Wiesen waren, war hier Felsen, Geröll und Schnee. Ein paar Wachteln mit kleinen Küken begegneten uns hier. Sie waren kaum von der steinigen Umgebung zu unterscheiden. Das war auch gut so, denn am Himmel kreisten einige Krähen, die da wohl auf ihr Futter warteten.

Der Weg führte an einem See vorbei, welcher noch von Schneefeldern gesäumt war. Das war nicht verlockend zum Baden. Wir kamen dann wieder in grüne Gefilde und wanderten eine sanfte Bergkuppe hinab. Wir hielten nun Ausschau nach einem Nachtlager und wurden an einem kleinen Flusslauf auch fündig. Hier mussten wir sowieso durch. Es gab keine Brücke. Ich hielt Ausschau nach einer geeigneten Stelle. Es war machbar, aber nicht ganz einfach. Aber das Problem vertagten wir auf den nächsten Morgen. Heute ließen wir den Abend ausklingen und genossen einen schönen Sonnenuntergang.

Der nächste Morgen empfing uns allerdings nasskalt. Es war neblig und ungemütlich. Wir beschlossen, erst unsere Sachen zusammen zu packen und den Fluss zu überqueren, bevor wir uns Frühstück machten. Wir hatten die Hoffnung, dass sich die Wolken bis dahin etwas verzogen. Das war leider nicht wirklich der Fall, aber wenigstens regnete es nicht und wir tranken trotzdem gemütlich unseren Kaffee. Von weitem sahen wir schon den Abzweig, welchen wir auf dem Hinweg durch das Feuchtgebiet wählten. Dort stießen wir wieder auf den Weg, zurück zu ins Todalen.

Es lief sich leicht und wir mussten zwar ein paar sumpfige Stücke überspringen und umlaufen, aber bald kamen wir wieder unter die Baumgrenze und machten wieder, an unserer alten Stelle vom Hinweg, am Fluss Rast. Inzwischen war auch das Wetter aufgeklart und wir waren nun doch etwas traurig, dass die Wanderung schon zu Ende war. Jetzt wären wir doch lieber die große Runde gelaufen. Das Wetter war einfach schön und der Weg wäre wahrscheinlich auch nicht so schwer gewesen. Aber nun ja. Dann halt ein anderes Mal mehr. Dafür beschlossen wir in ein paar Tagen noch die Wanderung über den Besseggengrat zu machen.