Besseggengrat

Wanderung über den Besseggengrat

Meine Eltern erzählen gerne von ihrer spektakulärsten Wanderung in Norwegen. Der Besseggengrat.

Dieses Jahr waren wir auch in der Gegend und ja, da könnte man diese Wanderung ja mal machen, dachten wir. Die Norweger sind der Meinung, dass den Besseggengrat jeder Norweger einmal gelaufen sein müsse sonst wäre er kein echter Norweger. Na dann. Das sollten wir doch auch können.

Also packten wir einen Rucksack und fuhren nach Gjendesheim zu einem großen Parkplatz. Von hier fährt ein Shuttlebus die letzten Meter am Fluss entlang bis zur Fähre und diese dann nach Memurubu. Die Wanderung von Memurubu nach Gjendesheim ist etwas 14 km lang und zieht sich über 1050 Höhenmeter. Der Name bedeutet im Deutschen „Sensengrat“ und impliziert eigentlich, was einen erwartet. Irgendwo hab ich mal gelesen, dass er mit „luftig“ beschrieben wurde. Ich finde, das trifft es ganz gut. Im Vorfeld war ich aber noch unwissend und hatte nur die Beschreibungen meiner Eltern im Kopf.

Na egal, wir bestiegen also am Morgen bei Nieselwetter die Fähre und ließen uns über den unglaublich blauen Gjendesee fahren. Links und rechts begrenzten den See schroffe Felshänge, von denen herabstürzende Wasserfälle in den See flossen. Die Fähre war voll und es war gut, dass wir die Überfahrt schon im Vorfeld gebucht haben. Natürlich kann man auch die andere Richtung laufen, aber dann sollte man sich beeilen, da man die Fähre zurück noch erwischen muss. Sollte man die verpassen, kann man natürlich auch am See entlang nach Gjendesheim zurück laufen. Aber das wäre dann schon eine ordentliche Tagesetappe, für die unsere Kondition auf keinen Fall reichen würde.

Im Angesicht der vielen Leute, dachte ich, die Wanderung kann doch nicht soo schlimm sein. Wenn so viele die machen…

In Memurubu trennte sich die Menge etwas. Viele nutzten auch die Hütte vor Ort einfach als Ausflugsziel. Das Panorama und die Landschaft hier waren sehr schön. Der Regen hatte auch kurz aufgehört und der See funkelte in der Sonne in seiner so kräftigen blauen Farbe. Hier am sandigen sanften Ufer könnte man auch gut den Tag verbringen.

Hinter der Hütte ging es dann einen steilen Pfad hinauf. Und die Rotte Wanderer zog sich je nach Kondition weiter auseinander und eine bunte Linie aus Leuten lief den Berg hinauf.

Wir kamen hier dann gut ins Schwitzen und zogen uns nach und nach unsere Sachen immer weiter aus, bis wir in T-Shirt und kurzer Hose unterwegs waren. Immer wieder aber pausierten wir kurz um das grandiose Panorama zu genießen und natürlich zum Verschnaufen.

Irgendwann hatte man aber das steile Stück geschafft und nun ging es sanfter bergan. Schon schlug wieder das Wetter um, und wir zogen wieder unsere Sachen an. Die ersten Wanderer machten hier schon ein kleines Picknick, aber uns zog es jetzt weiter. Die Landschaft wurde jetzt kahl und schroff aber das grüne Tal unten am See kam immer mal in Sichtweite und lag weit in der Tiefe. Wir spähten immer mal nach vorne und überlegten, wo unser Weg entlang führen würde. Der Besseggen lag vor uns schon in Sichtweite, aber wir erkannten ihn erst nicht und meinten, dass der Weg dort unmöglich lang führen konnte sondern vermuteten ihn eher über die Felshänge, welche links von uns lagen. Aber irgendwann waren wir so nah, dass wir einzelne Wanderer als Farbpunkte auf diesem Grad wahrnehmen konnten und die böse Vorahnung wurde zur Gewissheit. Das wird doch der Weg sein. Oh, oh. Leider zogen auch immer mehr Wolken auf und ich befürchtete schon, dass, wenn wir dieses Stück schon Laufen müssten, wir nicht einmal Weitsicht haben würden. Auch hinter uns zogen sich die Wolken immer mehr zusammen. So war uns nur kurz ein Blick auf den gewaltigen Gletscher in unserem Rücken gegönnt.

Je höher wir kamen, desto mehr kam nun auch noch ein anderer See in unser Blickfeld. Erst sah man nur die Staumauer, aber dann kam der Bessvatnet in Sicht. Dieser hatte eine tiefblaue Farbe und befand sich links vom Besseggengrat. Wir beschlossen aber erst einmal zu rasten und suchten uns eine geschützte Stelle. Es wehte ein kalter Wind, so dass wir wieder alle unsere Kleidung, Mützen und sogar die Regencapes wieder anzogen, damit der Wind uns nicht so durchpustete. Frisch gestärkt ging es dann weiter hinunter, teilweise kraxelnd, an das Ufer des Bessvatnet. Die vielen Menschen vor Ort und die kalten Temperaturen hielten mich davon ab, in diesen einladenden See zu springen. Es gab aber andere, die es taten. Hier war auch eine kleine Gedenktafel an einen Mann, welcher auf dem Besseggengrat abstürzte, weil er Entgegenkommenden ausweichen wollte. Das brachte mich irgendwie schon ganz schön ins Zweifeln.

Nun ging es steil aufwärts den Grad hinauf. Es sah erst einmal gar nicht so schlimm aus, aber es war kein Wandern mehr, sondern jetzt wurde geklettert. Je höher es ging, desto schwieriger wurde es für mich. Links und rechts fiel der Felsen steil ab und am Fuße lagen links und rechts die beiden verschiedenfarbigen Seen. An und für sich ein wirklich schöner Anblick, wenn man nicht unter Höhenangst litt. Ich hab eigentlich auch keine Höhenangst, aber das weiß leider mein Körper nicht. Und so musste ich kämpfen. Immer dicht an der Panikattacke entlang. Vor mir versuchte ein junger Mann seine Freundin hinauf zu lotsen. Sie war Tränen überströmt aber kämpfte auch tapfer. Der Blick hinunter, in die Gesichter hinter mir, war zum Teil auch nicht besser. Zwischendrin immer ein paar Mutige, die den Berg leichtfüßig auch an etwas ausgesetzteren Stellen empor kletterten. Wenn man sich hier in der Mitte hielt, war es nicht wirklich gefährlich, aber ich konnte dabei nicht nach links und rechts schauen. Georg, einer der Mutigen kletterte leichtfüßig vorneweg. Guido sah, dass ich Probleme hatte und kam zu mir zurück, um mir zu helfen. Mir war aber nicht zu helfen. Der Kampf fand in meinem Kopf statt. Ich bat ihn, mich in Ruhe zu lassen und einfach auf unser Kind zu achten, dass dieser nicht zu leichtsinnig wurde. Ich würde es schon schaffen. Mittlerweile kämpfte auch ich mit den Tränen. Immer wieder kamen uns auch noch Wanderer von oben entgegen und vor mir musste ein Pärchen auf die seitliche Kante ausweichen. Nein, tut mir leid. Das kann ich nicht. Glücklicherweise passierten sie mich an einer unkomplizierteren Stelle. Aber alleine dem zuzuschauen ließ mich zittern. Immer wieder musste ich tief durchatmen, um mich zu sammeln.

Die Wolken waren mittlerweile aufgeklart und die beiden Seen zu unseren Füßen schön zu sehen, nur dass ich nicht hinsehen konnte.

Die weinende Frau vor mir, hatte ich mittlerweile überholt. Der eine oder andere ist schon umgekehrt. Aber ich schaffte es. Als ich endlich oben war, musste ich mich erst einmal lang hinlegen. Ich lachte und weinte gleichzeitig. Also nee, die Norweger spinnen, dachte ich nur. Das war kein Wanderweg, sondern ein Klettersteig ohne Sicherungsseile. In Deutschland unvorstellbar. Wir genossen kurz die Aussicht und ich das Sinken meines Adrenalinspiegels. Dann geht es weiter bergauf, nun aber als Weg ohne Klettern. Aber es blieb steil. Oben dann endlich auf dem Gipfel, welcher durch eine große Steinpyramide gekennzeichnet war, gab es dann ein Siegerfoto. Wir waren ein bisschen stolz, das Ganze geschafft zu haben. Hinab ging es dann durch eine langweilige und öde Mondlandschaft. Allerdings hatte man eine schöne Weitsicht und der Regen hatte auch aufgehört.

Stetig ging es langsam abwärts. Aber der Weg zog sich. Irgendwann wurde es wieder steiler. Ausgerechnet hier fing es dann stark an zu regnen. Also wieder Regensachen an und weiter. Sofort bildeten sich auf dem Weg kleine Bäche und wir mussten vorsichtig laufen um nicht zu stürzen. Es ging dann noch einen runden Felsen hinab. Hier gab es eine Kette, an der man sich entlang hangeln konnte und dann hatte uns die grüne Landschaft wieder. Wir konnten in der Ferne Gjendesheim an dem See liegen sehen und der Fluss, welcher der Ablauf des Sees war, mäanderte in die zu unseren Füßen liegende Landschaft. Die Sonne kam wieder vor und wir zogen unsere Sachen zum wiederholten Mal aus. Der See zu unseren Füßen, sah nun verlockend aus und ich  beschloss am Ende noch einmal hinein zu springen, auch wenn es bedeutete noch ein paar Meter weiter zu laufen. Leider waren Guido und Georg nicht dazu zu überreden und die Beiden gönnten sich in der Zeit ein Eis. Mein Sprung ins Wasser wurde aber auch nicht richtig was, denn der See war hier sehr flach und so ging ich nur ein Stück hinein um mich ein wenig zu erfrischen. Dann gesellte ich mich zu meinen Männern und es gab auch noch ein Eis für mich. Ich denke, das war verdient.